Der Hamas-Terror hat eine altbekannte Diskussion wieder aufgeflammt: Nach Terroranschlägen im missbrauchten Namen des Islams, werden Muslim:innen immer wieder aufgefordert, sich vom Terror zu distanzieren oder diesen zu verurteilen. Schweigenden Muslim:innen wird häufig Zustimmung zur Gewalt unterstellt, aber so einfach ist das nicht.
Wenn sich eine muslimische Person vom Terror distanziert, so sagt sie zugleich auch, dass zwischen ihr und dem Terror zuvor eine gewisse Nähe bestand. Wer den Terror hingegen verurteilt macht klar, dass er diese Handlung ablehnt. Dies wiederum setzt eine Distanz zur Tat voraus.
Und dann gibt es noch Menschen, die sich vom Terror weder distanzieren noch verurteilen. Der schweigenden Mehrheit wird in der öffentlichen Debatte mindestens Gleichgültigkeit und maximal schweigende Zustimmung unterstellt. Dies mag auf manche sicherlich zutreffen, aber das Schweigen kann unterschiedlich motiviert sein.
Nicht jede:r ist in der Lage eine Stellungnahme abzugeben, weil die Expertise in Bezug auf den Nahost-Konflikt fehlt. Menschen sind oft schlicht überfordert und besorgt, falsche Informationen zu verbreiten.
Der Faktor Zeit spielt ebenfalls eine Rolle. Wenn jemand eine versierte Analyse zum Nahostkonflikt schreiben möchte, ist eine ausführliche Recherche und gewisses formales Bildungsniveau notwendig. Aus einer finanziell privilegierten Position heraus, mag das keine Rolle spielen, aber für Menschen, die am Existenzminimum und in bildungsfernen Schichten leben, kann dies ein unüberwindbares Hindernis sein.
Hinzu kommen Loyalitätskonflikte: Muslim:immen sind keine homogene Gruppe. Die Ansichten zum Nahostkonflikt können sehr unterschiedlich sein. Möglicherweise sind schweigende Personen gegen den Terror, aber Menschen aus dem Bekannt- und Verwandtenkreis feiern die Gewalt gegen Israel. Sich öffentlich zu positionieren, würde bedeuten, von einem Teil der eigenen Community geächtet oder sogar ausgeschlossen zu werden. Die Leser:innen dieses Artikels mögen sich bitte die Frage stellen, ob sie sich öffentlich gegen die eigene Familie positionieren würde.
udem könnte eine öffentliche Positionierung dazu führen, selbst in das Visier von Hater:innen zu geraten. Dies kann zur Wortgewalt in sozialen Netzwerken und schlimmer noch zu körperlicher Gewalt in der analogen Welt führen.
Grundsätzlich sollte jede:r die eigene Stimme gegen Unrecht erheben, egal wo, wann und unabhängig davon, wer die Opfer sind. Der Nahostkonflikt ist jedoch komplex, explosiv und emotional hoch aufgeladen.