Die Ampelkoalition plant die Legalisierung von Cannabis in dieser Legislaturperiode. Ist der Konsum dieser Droge aus muslimischer Sicht erlaubt? Ein Gespräch mit dem muslimischen Theologen Ali Ghandour von der Universität Münster.
Eine eindeutige Antwort, ob der Cannabiskonsum mit dem Islam vereinbar ist, gibt es laut Ali Ghandour nicht. Der muslimische Theologe lehrt an der Universität Münster unter anderem Kulturgeschichte muslimisch geprägter Gesellschaften und beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Cannabiskonsum im Islam: “Wir haben Gelehrte, die Cannabis als etwas Verbotenes ansehen. Und das ist die Mehrheit der Rechtsgelehrten. Und es gibt Gelehrte, die Cannabis als eine erlaubte Substanz betrachten. Wir können jedoch eine Tendenz wahrnehmen: Die Position der Theologen wurde ungefähr ab dem 13. Jahrhundert immer strenger, weil der Cannabiskonsum zu dieser Zeit in vielen muslimischen Ländern zu einem Massenphänomen geworden war.”
Im Koran selbst und in den Überlieferungen des Propheten Mohammed gibt es keine Hinweise zu Cannabis, geschweige denn ein explizites Cannabis-Verbot. Wie also begründen die Gelehrten diese – wie sie sagen – Sünde? “Die Rechtsgelehrten, die sich gegen den Cannabiskonsum aussprechen, berufen sich auf eine muslimische Rechtsmaxime, die besagt, dass alles, was in großen Mengen berauschend wirkt, nicht in kleinen Mengen konsumiert werden darf”, erklärt Ghandour.
Eindeutiger als beim Cannabis ist der Fall beim Alkohol. Zwar wird im Koran der Begriff “Alkohol” nicht wörtlich erwähnt, wohl aber der arabische Begriff “Khamr”. Darunter versteht die Mehrheit der muslimischen Gelehrten alle alkoholhaltigen Getränke. Im Koran heißt es, in Sure 5, Vers 90: “O die ihr glaubt, berauschender Trank, Glücksspiel, Opfersteine und Lospfeile sind nur ein Gräuel vom Werk des Satans. So meidet ihn, auf dass es euch wohl ergehen möge!”Bemerkenswert ist, dass in anderen Koranversen dem Alkohol durchaus positive Aspekte zugesprochen werden, und nicht nur negative – die Nachteile jedoch überwiegen.
In Bezug auf Cannabis wiederum sehen manche Muslime mehr Vor- als Nachteile, allen voran einige Strömungen unter den Sufis. Sie vertreten eine besonders spirituelle und mystische Ausprägung im Islam: “Einige Sufis führten den Cannabiskonsum sogar in ihre Rituale ein”, sagt Ghandour. “Cannabis half ihnen entweder zu entspannen oder in Trancezustände zu gelangen und es gab einen Sufi, der Haschisch als das ‘Häppchen der Meditation’ bezeichnete.”
Doch auch jenseits des Sufismus ist der Cannabiskonsum in vielen muslimisch geprägten Ländern weit verbreitet, darunter in den Maghreb-Staaten, der Türkei oder Pakistan. Auch in Deutschland wird Cannabis von Muslimen konsumiert. Dafür gibt es laut Ghandour unterschiedliche Gründe: “Vielleicht betrachten diese Musliminnen und Muslime den Cannabiskonsum gar nichts als Sünde, denn jede Muslimin und jeder Muslim hat das Recht eine theologische Position zu vertreten, die den eigenen Bedürfnissen und Überzeugungen entspricht. Eine Kirche, die zentral entscheidet, was erlaubt ist und was nicht, gibt es unter Musliminnen und Muslimen nicht.”
Seit fünf Jahren darf Cannabis in Deutschland aus medizinischen Gründen legal auf Rezept verschrieben werden. Die meisten muslimischen Gelehrten betrachten den Cannabiskonsum aus medizinischen Gründen ebenfalls als halal, also erlaubt an: “Der Cannabiskonsum zu medizinischen Zwecken wurde von der Mehrheit der muslimischen Gelehrten erlaubt”, so Ghandour. “Auch für Süchtige wurde es erlaubt. Und zwar diejenigen, die kleine Mengen konsumieren müssen, um sich langsam vom Konsum zu entwöhnen.”
Für die meisten Musliminnen und Muslimen in Deutschland wird sich durch die gesetzliche Legalisierung von Cannabis nichts ändern. Entscheidend für sie bleibt die Auffassung der muslimischen Gelehrten. Die deutschen Gesetze und die religiösen Überzeugungen von Muslimen müssen jedoch kein Widerspruch sein.