Kurz vor Sonnenuntergang leuchten in der Borbecker Preisstr. nicht nur die Straßenlaternen. Mariam Khoder (60) drückt auf eine Taste und schon erstrahlt ihr Balkon in voller Pracht. Zu sehen sind unzählige Lichterketten, beleuchtete Herzen und vieles weitere mehr. Der Grund für diese Dekoration ist Ramadan, den Muslime weltweit bis Mitte Juni vollziehen. In anderen islamisch geprägten Ländern ist es üblich, dass ganze Straßenzüge während des Fastenmonats festlich verziert werden. Hierzulande ist es eher eine Ausnahme, wie die gebürtige Libanesin Mariam Khoder berichtet.
Seit 18 Jahren ist sie mit ihrem Ehemann Mahmud (66) verheiratet und seitdem leben beide in Essen-Borbeck. Aufgrund eines Badeunfalls in Beirut, ist er seit vierzig Jahren querschnittsgelähmt und kann sich nur mithilfe eines Elektrorollstuhls vorwärts bewegen. Mariams linkes Bein ist auf der linken Seite infolge einer Kinderlähmung taub, so dass sie ihr Gewicht auf die rechte Körperhälfte verlagern muss. Zusammen bewältigen sie die Hürden des Alltags, wie Einkäufe oder einfach mal vor die Haustür zu kommen.
Die Ramadan-Dekoration ist für beide eine Herzensangelegenheit, obwohl es sie viel Zeit, Kraft und Geld kostet. „So wie andere Weihnachten feiern und glücklich dabei sind, möchten wir auch den Kindern in der Gegend eine Freude machen. Erst dadurch kommen die Ramadangefühle auf. Und manchmal singe ich den Kindern Ramadanlieder vor“, sagt Mariam mit einem freundlichen Lächeln.
Die Frage nach der Stromrechnung schmunzelt Mahmud weg, ohne sie zu beantworten. Seine Ehefrau beginnt bereits zwei bis drei Wochen vor dem Fastenmonat den Schmuck nach und nach anzubringen, um sich nicht zu überfordern. Seit ihrer Kindheit im Libanon, dekoriert sie die Wohnung von innen und außen. Und so handhabt ist sie es bereits seit 18 Jahren in Essen Borbeck, jedes Mal aufs Neue, wenn Ramadan wieder vor der Tür steht. „Mein Ziel ist, dass die Dekoration von Jahr zu Jahr schöner wird. Vielleicht motiviere ich ja auch andere Nachbarn, sich an diesem Brauch zu beteiligen. Bisher bin ich die einzige im Bezirk, die diese Tradition pflegt.“
Amüsiert berichtet Mahmud von einer Begegnung mit einem Nachbarn, der meinte, es sei noch zu früh für Weihnachtsschmuck. Als Mahmud entgegnete, dass es sich um Ramadandekoration handelt, machte sein Gegenüber große Augen. Mittlerweile weiß in der Preisstraße jeder, was es mit dem Schmuck auf sich hat und die Reaktionen sind überwiegend positiv, so das Ehepaar. Manchmal kämen sogar Leute um Fotos zu machen. Nur wenige werfen dem Ehepaar vor, sie würde mit dem Schmuck prahlen, aber davon lassen sie sich nicht beirren.
Mit dem Sonnenuntergang bricht das Ehepaar sein Fasten traditionell mit einer Dattel, so wie es Prophet Mohammed praktiziert haben soll. Mahmud betont: „Ramadan ist nicht nur der Verzicht auf Nahrung, sondern hilft dabei den Charakter zu vervollkommnen und die Beziehung zwischen dem Menschen und Gott zu intensivieren“. Trotz des hohen Alters bereitetet das Fasten dem Ehepaar keine große zu Mühe. Wir fasten seit unserer Kindheit und können uns nicht vorstellen damit aufzuhören.
Nach dem gemeinsamen Mahl verrichten beide viele Gebete und rezitieren Verse aus dem Koran. Vor Anbruch der Dunkelheit nehmen Sie noch ein Frühstück zu sich. Bevor Mariam zu Bett geht, schaltet sie die Ramadandekoration ab. Es ist ungefähr 3:30 in Essen-Borbeck. Ein neuer Fastentag beginnt.
Erstveröffentlichung (05.06.2018): https://www.waz.de/staedte/essen/essener-ehepaar-schmueckt-seinen-balkon-zum-ramadan-festlich-id214481165.html