Omer Al-Shaikhli ist Diplom-Ingenieur – und Inhaber einer Dönerbude. Bis vor einigen Monaten hätte er sich nicht im Traum vorstellen können, jemals hinter der Theke zu stehen. Aus seiner Sicht ist dafür das Jobcenter mitverantwortlich.
Immer wieder sagt Omer Al-Shaikhli „sehr gerne“, erfüllt den Kunden ihre Wünsche. Sei es Döner, Pizza oder Burger. Vermutlich kommt niemand auf die Idee, dass dieser Dönerverkäufer diplomiert ist. Als Maschinenbau-Ingenieur mit Schwerpunkt Heizungs- und Klimatechnik würde er Anlagen planen, bauen und vertreiben, die der Ver- und Entsorgung von Wohngebäuden, Betrieben oder ganzen Stadtvierteln dienen.
Omer Al-Shaikhli ist 28 Jahre alt, stammt aus dem Irak und verließ seine Heimat im Jahr 2013. Zwei Jahre zuvor hatte er eine deutsch-irakische Studentin der Pharmazeutischen Chemie geheiratet, die er während ihres Irak-Urlaubs kennen und lieben gelernt hatte. Er folgte ihr nach Essen, wo sie seit über 17 Jahren lebte. Vor der Ausreise schloss er sein Studium ab und absolvierte einen Deutschkurs am Goethe-Institut in Bagdad. Hierzulande vertiefte er seine Sprachkenntnisse auf das schon anspruchsvolle B-2-Niveau, machte den Führerschein, besuchte Bewerbungstrainings und absolvierte den Integrationskurs „Leben in Deutschland“ mit „Sehr gut“.
Sein Hochschulabschluss wurde von der Bezirksregierung Düsseldorf anerkannt. Also strebte Al-Shaikhli eine Anstellung als Ingenieur an – und erlebte beim Jobcenter eine Enttäuschung: Die Sachbearbeiterin legte ihm gleich im ersten Beratungsgespräch nahe, sich bei McDonald’s zu bewerben. Al-Shaikhli war geschockt: „Ich habe kein Diplom gemacht, um bei McDonald’s zu arbeiten.“ Er beschwerte sich beim Teamleiter, weil ein solcher Job nicht seiner Qualifikation entspreche. Vergeblich. Es folgten keine Jobangebote mehr.
Auf Nachfrage beim Jobcenter verweist die Pressestelle auf das Sozialgesetzbuch II, wo es in Paragraph 10 heißt: „Einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person ist grundsätzlich jede Arbeitsaufnahme zumutbar, unabhängig davon, welche Berufsausbildung vorhanden oder welche Tätigkeit vorher ausgeübt worden ist.“ Auch andere Hochschulabsolventen berichten, dass sie schon im Erstgespräch Jobangebote erhielten, für die sie überqualifiziert waren.
Omer Al-Shaikhli hatte im Irak drei Jahre als studentische Hilfskraft gearbeitet. In Deutschland stockte er seine Sozialleistungen ein knappes Jahr lang als Übersetzer auf. Gleichzeitig suchte er auf eigene Faust eine Stelle als Ingenieur, schrieb binnen eines Jahres etwa 90 Bewerbungen. Wegen seiner mangelnden Berufserfahrung wurde er jedoch nicht eingestellt, bekam aber ein Dutzend Praktikumsangebote mit Übernahmeperspektive. Doch die habe er nicht antreten können, weil das Jobcenter in der Regel nur sechs Wochen für „Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung“ gewähre, in Ausnahmefällen bis zu zwölf Wochen. Dieser Zeitraum reiche für Ingenieure nicht, signalisierten ihm die Unternehmen. Und eine Einstellung bei einem Gelsenkirchener Hotelbadhersteller sei gescheitert, weil Unternehmen und Jobcenter sich nicht auf die Höhe des Eingliederungszuschusses einigen konnten.
Nach zweijährigen Bemühungen, als Ingenieur Fuß zu fassen, orientierte sich Al-Shaikhli schließlich doch Richtung Gastronomie: Er absolvierte ein sechswöchiges Praktikum in einem Restaurant, bekam so einen Einblick in das Handwerk und eröffnete wenige Monate später mit finanzieller Unterstützung seines Schwiegervaters seinen eigenen Laden in Holsterhausen.
Nach der schwierigen Anfangsphase hat er jetzt viele Stammkunden, konnte sogar zwei Mitarbeiter einstellen. Döner, Pizza und Burger gehören zum Repertoire, Salate und selbstgemachte Saucen. Stolz erzählt Al-Shaikhli, dass sie auch neue Menüs kreieren wollen. Den Traum von der Arbeit als Ingenieur hat er aufgegeben, die Kunden aber sollen seine Enttäuschung nicht spüren. So antwortet er weiter auf jede Bestellung freundlich: „Sehr gerne“.
Der Spracherwerb von Zuwanderern wird in folgenden Kompetenzstufen erfasst: A 1, Anfänger: Kann alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen/verwenden. A 2, grundlegende Kenntnisse: kann sich in routinemäßigen Situationen über geläufige Dinge verständigen. B 1 (Fortgeschrittene Sprachverwendung): kann die meisten Situationen bewältigen, denen man als Reisender begegnet, und sich über vertraute Themen äußern. B 2, selbstständige Sprachanwendung: kann im eigenen Spezialgebiet auch Fachdiskussionen folgen. C 1, fachkundige Kenntnisse: Kann die Sprache im gesellschaftlichen und beruflichen Leben flexibel, ohne Anstrengung gebrauchen. C 2, annähernd muttersprachliche Kenntnisse: Kann praktisch alles mühelos verstehen, auch feinere Bedeutungsnuancen bei komplexen Sachverhalten.
Erstveröffentlichung: https://www.waz.de/staedte/essen/ingenieur-aus-dem-irak-28-macht-doenerbude-in-essen-auf-id213192727.html